# 39 Beziehungskunst – und die Krux mit der Höflichkeitslüge.

„Ich glaube, ich habe mich in eine schwierige Situation gebracht“: meinte vor einiger Zeit eine Klientin, Sarah, zu mir. „Was ist geschehen?“ frag ich nach. Sie beginnt zu erzählen. Vor ein paar Jahren hat es begonnen. Eine Freundin, Julia, hat ihr zum Einzug in eine neue Wohnung ein Bild geschenkt. Es stammt von einer Künstlerin die Julia persönlich kennt. Julia betont, dieses Bild extra für Sarah ausgesucht zu haben. Sarah ist unangenehm berührt, weil ihr das Bild überhaupt nicht gefällt, aber aus Höflichkeit und weil sie ihre Freundin nicht vor dem Kopf stoßen wollte, hat sie geflunkert und sich positiv über das Bild geäußert. Julia hat Sarahs Freude wiederum ernst genommen und beschlossen, ihr zu einigen weiteren Gelegenheiten, abermals Bilder von jener Künstlerin zu schenken. Mittlerweile ist Sarah nun Besitzerin von acht Bildern und es ist kein Ende in Sicht.

Sarah hat dazwischen durchaus mal versucht, Julia zu verstehen zu geben, dass sie sich nicht so in Unkosten stürzen soll. Sie würde sich über eine Kleinigkeit genauso freuen. Julia winkte ab und meinte nur, es macht ihr Vergnügen, wenn sie ihr damit Freude bereiten kann. Das tut sie vom Herzen und ihre Freundschaft ist ihr das wert.

Wie nun aus so einer Situation rauskommen??

Diese Art von Höflichkeitslüge kommt häufig vor und kann manche Beziehungen in eine Schieflage bringen. Das Gefühl, jemanden nicht verletzen zu wollen, überragt den Wunsch nach Ehrlichkeit. Es ist schließlich nicht einfach ein Geschenk, eine Geste zurückweisen. Wenn es eine einmalige Angelegenheit ist, sehen die meisten Menschen darüber hinweg. Sollte es sich aber als eine wiederkehrende Situation erweisen, kommt man hier ganz schön in die Bredouille.

Einen Gesichtspunkt, den die meisten hier allerdings außer Acht lassen ist, dass man der anderen Person auch nicht zutraut, mit dieser „Zurückweisung“ umgehen zu können. Außerdem wird der/dem Schenker*in eine Identifikation mit dem Geschenk „unterstellt“. „Geschmäcker sind verschieden“, wie es so schön heißt. Wenn ich nun ein Geschenk mit der Person gleichsetze, die es mir schenkt, kann so eine Abgrenzung persönlich genommen werden, zumal ja (hoffentlich) immer in der besten Absicht geschenkt wird.

Deshalb denk daran, wenn Du schenkst und es gefällt nicht, ist es keine Zurückweisung Deiner Person, sondern ein Zeichen des Vertrauens. Es ist ein Zeichen, dass die/der Beschenkte auf die Beziehung vertraut und dass Ehrlichkeit wichtiger ist als Höflichkeit. Es ist ein Zeichen einer stabilen Beziehung zu Familie und Freunde  und ein Appell ans Erwachsensein.

Weihnachten steht ja bald wieder vor der Tür. Das könnte doch eine wunderbare Möglichkeit sein um zu üben, sich nicht mit den Geschenken, die man schenkt zu identifizieren. Es nicht persönlich zu nehmen, wenn man den Geschmack nicht getroffen hat. Aus Höflichkeit zu lügen sollte in tiefen Partnerschaften, Familienbeziehungen und Freundschaften nicht notwendig sein. Es ist eine Gelegenheit sich besser und neu kennenzulernen und vielleicht mit Humor, Fehlgriffe zu lustigen Erinnerungen werden zu lassen.

 

Barbara Güpner-Planner, M.A.

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