# 15 Beziehungskunst – Was tun, wenn alte Wunden aufreißen?

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 Vor einiger Zeit in meiner Kunsttherapie-Praxis: Ein Ehepaar, sie stehen kurz vor der Trennung und kommen recht niedergeschlagen zu mir. Die letzte Hoffnung ist nun innerhalb einer Therapie/Beratung an der Beziehung zu arbeiten, um doch noch einen gemeinsamen Weg zu finden.

In der dritten Einheit ist ein Streit, der am vorangegangen Wochenende entbrannt ist, großes Thema. Ich lade beide ein, innerhalb eines bildnerischen Prozesses ihren jeweiligen Empfindungen und Wahrnehmungen dazu Ausdruck zu verleihen. Der Ehemann, Erwin, ist nach kurzer Zeit fertig. Seine Frau, Anna, beginnt mit einem Blatt und nimmt sich recht rasch ein zweites, drittes, viertes usw. Ihre Striche werden immer kraftvoller, die Farben, die sie wählt, werden immer dicker und fester aufgetragen, bis die Blätter reißen. Dann hält sie kurz inne und beginnt mit einem neuen. Anna gibt mit schnellen und kraftvollen Bewegungen ihren Gefühlen Raum. Erwin beobachtet sie erstaunt und verwirrt. Nach ca. 25 Minuten hört Anna abrupt auf. Sie schaut ihren Mann vorwurfsvoll an. Ich frage nach, was gerade geschehen sei. Dann beginnt sie, ohne ihren Mann aus den Augen zu lassen, mit ihrer Geschichte. Sie fühlt sich von ihm unendlich verraten. Dieser Streit am Wochenende hat sie so sehr daran erinnert, wie oft er sie im Stich gelassen hat. Vor allem seiner Mutter gegenüber. Verraten und verkauft, das bleibt für sie als vorrangige Erinnerung über an die gemeinsame Vergangenheit. Die Meinung seiner Mutter hat so viele Entscheidungen in ihrer Ehe beeinflusst und selten konnte sie sich gegen diese Frau durchsetzen. Eigentlich hat sie kein Vertrauen mehr und weiß nicht, ob das alles noch Sinn macht.

Die Intensität dieses Ausbruchs war für Erwin überraschend und neu. Es war ihm nicht klar, dass Anna so sehr unter seiner Mutter gelitten hat und dass sie sich von ihm so im Stich gelassen gefühlt hat. Er kann sich zwar schon daran erinnern, dass sie das ein oder andere Mal eine Bemerkung gemacht hat oder die Schwiegermutter thematisiert hat, aber dass es sie so verletzt war, war ihm nicht klar. Er hat diese Konflikte nicht so ernst genommen und dachte sich, es wird sich schon wieder legen.

Was ist geschehen:

In diesem Prozess sind alten Wunden aufgebrochen. Das ist in der Kunsttherapie grundsätzlich zu begrüßen. Um effektiv an einer Beziehung zu arbeiten ist es notwendig, an diese alten Wunden heranzukommen. Sie sind vor langer Zeit entstanden und haben sich entzündet. Nun wirken sie aus dem Untergrund, dem Unterbewussten heraus und zeigen sich insbesondere dann, wenn man nicht damit rechnet.

Der verzweifelte Kampf gegen die Schwiegermutter, das Sich-Verraten-Fühlen vom eigenen Partner kennen viele Frauen. Die Schwierigkeit Stellung zu beziehen und das Gefühl sich zwischen der Mutter und der eigenen Frau entscheiden zu müssen kennen wiederum viele Männer. Dabei sollte es nie um ein Entweder/Oder gehen, sondern immer um ein sowohl als auch. (Ich weiß, dass ist nicht leicht…)

Alte Wunden brauchen Aufmerksamkeit. Sie brauchen Annahme. Sie brauchen Zuwendung. Paararbeit kann nur funktionieren, wenn diese alten Wunden hochkommen dürfen und verstanden werden. Auf beiden Seiten. Nie ist nur einer verletzt! Es gibt kaum eine Beziehung, wo es nicht auf beiden Seiten zu großen Verletzungen gekommen ist. Diese sorgen für Distanz in den Partnerschaften, bis hin zur Auflösung ebendieser.

Gelingt in dieser - zugegeben späten Phase - die Hinwendung zum alten Schmerz und damit ein Ausheilen von alten Themen, dann kann die Beziehung einen neuen Frühling erleben. Eine Partnerschaft, die wiederbelebt wird, erreicht eine tiefe Verbundenheit, Intimität und Vertrauen. Deshalb sind wir ja auch da. Um diese Verbundenheit zu leben und zu erleben.

 

© Barbara Güpner-Planner, M.A.

Alle Namen sind selbstverständlich anonymisiert, wie auch die Geschichten leicht verändert.